Bei Verkehrsunfällen, bei denen es zu einer Kollision mit einer geöffneten Fahrzeugtür kommt, stellt sich oft die Frage, wer die Verantwortung trägt. Das OLG Saarbrücken hat in seinem Urteil vom 5. Juli 2024 (3 U 16/24) wichtige Leitlinien zur Haftungsverteilung aufgestellt und dabei insbesondere den Beweis des ersten Anscheins bei geöffneten Fahrzeugtüren beleuchtet. Hier erfahren Sie, worauf es ankommt und was das Urteil für die Praxis bedeutet.
1. Der Fall: Unfall beim Vorbeifahren
Im verhandelten Fall forderte die Klägerin Schadensersatz, nachdem ihr Fahrzeug, ein VW Golf, beim Vorbeifahren an einem am Fahrbahnrand geparkten Fiat Panda mit der hinteren linken Tür des Beklagtenfahrzeugs kollidierte. Der genaue Hergang blieb zwischen den Parteien strittig.
- Die Klägerin: Argumentierte, dass die Tür während der Vorbeifahrt unachtsam weiter geöffnet wurde.
- Die Beklagte: Behauptete, der Fahrer des Klägerfahrzeugs sei mit einem zu geringen Seitenabstand von lediglich 55 cm an dem Beklagtenfahrzeug vorbeigefahren, obwohl die geöffnete Tür und die darin stehende Person erkennbar gewesen seien.
Das Landgericht wies die Klage zunächst ab, da der Fahrer des Klägerfahrzeugs gegen die Sorgfaltspflichten des § 1 Abs. 2 StVO verstoßen habe. Die Berufung vor dem OLG Saarbrücken war jedoch teilweise erfolgreich.
2. Die Entscheidung des OLG Saarbrücken
Das OLG Saarbrücken entschied, dass in solchen Fällen keine Alleinhaftung des Vorbeifahrendenangenommen werden könne, wenn offen bleibt, ob die Tür während der Vorbeifahrt weiter geöffnet wurde.
Die Argumentation des Gerichts:
- Pflichten des Ein- und Aussteigenden (§ 14 Abs. 1 StVO): Wer ein- oder aussteigt, muss sich so verhalten, dass andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet werden. Dies erfordert ein Höchstmaß an Sorgfalt – insbesondere bei geöffneter Tür in Richtung Fahrbahn.
- Anscheinsbeweis: Kommt es zu einer Kollision mit einer geöffneten Tür, spricht der Beweis des ersten Anscheins grundsätzlich für eine Verletzung der Sorgfaltspflichten durch den Aussteigenden.
- Vorbeifahrender (§ 1 Abs. 2 StVO): Gleichzeitig darf der Vorbeifahrende nur mit ausreichendem Seitenabstand und angepasster Geschwindigkeit passieren. Ein Verstoß gegen diese Regel kann eine Mitschuld begründen.
Ungeklärte Faktoren:
Im vorliegenden Fall war jedoch unklar, ob die Tür während der Vorbeifahrt weiter geöffnet wurde. Ein Sachverständiger hatte festgestellt, dass die Tür möglicherweise zunächst nur 45 cm weit geöffnet war und der Abstand des Klägerfahrzeugs von 55 cm zum Unfallzeitpunkt ausgereicht haben könnte. Dies ließ Zweifel daran, ob die Hauptverantwortung beim Vorbeifahrenden lag.
Haftungsverteilung:
Das OLG Saarbrücken entschied auf eine 50/50-Haftungsquote, da beide Parteien zur Entstehung des Unfalls beigetragen hatten:
- Die Zweitbeklagte hatte ihre Pflicht verletzt, sich vor und während des Türöffnens ausreichend zu vergewissern.
- Der Fahrer des Klägerfahrzeugs war mit einem zu geringen Abstand vorbeigefahren.
3. Praxisrelevanz: Das sollten Verkehrsteilnehmer wissen
Für Aussteigende:
- Halten Sie sich an die Vorschriften des § 14 Abs. 1 StVO. Prüfen Sie vor dem Öffnen der Tür und während des Ein-/Aussteigevorgangs kontinuierlich, ob sich Verkehr nähert.
- Halten Sie die Tür nur so lange offen wie unbedingt nötig, um Gefährdungen zu vermeiden.
Für Vorbeifahrende:
- Passen Sie Geschwindigkeit und Seitenabstand an, wenn Fahrzeuge mit geöffneten Türen erkennbar sind. Der Abstand sollte so groß sein, dass auch unerwartete Bewegungen abgefangen werden können.
Rechtliche Konsequenzen:
- Eine Alleinhaftung des Vorbeifahrenden kommt nur in Betracht, wenn nachweislich kein Verschulden des Aussteigenden vorliegt.
- Bei unklaren Unfallhergängen oder wechselseitigen Sorgfaltspflichtverletzungen ist eine Haftungsteilung wahrscheinlich.
4. Fazit: Klare Vorgaben für komplexe Fälle
Das Urteil des OLG Saarbrücken zeigt, wie entscheidend eine genaue Prüfung des Unfallhergangs ist. Ungeklärte Faktoren, wie das mögliche Weiteröffnen einer Tür während der Vorbeifahrt, können zu einer Haftungsverteilung führen.
Unsere Empfehlung:
- Dokumentieren Sie den Unfallort sorgfältig, insbesondere die Position der Tür und die Abstände.
- Ziehen Sie bei rechtlichen Streitigkeiten einen erfahrenen Anwalt hinzu, um Ihre Interessen durchzusetzen.
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