Verkehrsunfall: Schmerzensgeld bei Motorradunfällen und die Bedeutung der Schutzkleidung
Verkehrsunfall und Mitverschulden: Kürzung des Schmerzensgeldes?
Ein Verkehrsunfall mit einem Motorrad führt häufig zu schwerwiegenden Verletzungen, insbesondere wenn der Fahrer keine ausreichende Schutzkleidung trägt. Im Fall einer Verletzung stellt sich regelmäßig die Frage, ob das Schmerzensgeld aufgrund eines Mitverschuldens des Verletzten gekürzt werden kann. Dies wäre der Fall, wenn die unzureichende Schutzkleidung zur Verschlimmerung der Verletzungen beigetragen hätte. Doch ist dies rechtlich wirklich entscheidend?
Das Landgericht Hamburg hat in einem Urteil vom 12. Juli 2024 (Az.: 306 O 387/23) entschieden, dass die Kürzung des Schmerzensgeldes wegen fehlender Schutzkleidung im Motorradverkehr nicht ohne Weiteres gerechtfertigt ist. Der Entscheidung lag der Fall eines Motorradfahrers zugrunde, der im Stadtgebiet eine Jogginghose, ein Sweatshirt, Sneakers und keinen Handschutz, aber einen Helm trug.
Schutzkleidung: Kein allgemeines Verkehrsbewusstsein im Jahr 2022
Das Gericht stellte klar, dass im Jahr 2022 keine gesetzliche Verpflichtung bestand, als Motorradfahrer spezielle Schutzkleidung zu tragen. Auch ein allgemeines Verkehrsbewusstsein, das Motorradfahrern zur Nutzung bestimmter Schutzkleidung verpflichtete, war nicht vorhanden. Der Verweis auf statistische Erhebungen, die durch das Oberlandesgericht Celle im Jahr 2021 durchgeführt wurden, bestätigte diesen Punkt (OLG Celle, Urteil vom 13. März 2024, Az.: 14 U 122/23). Für das Folgejahr 2022 konnte das LG Hamburg keine wesentliche Veränderung im Verkehrsbewusstsein feststellen.
Diese Feststellung ist wesentlich, weil sie den rechtlichen Rahmen der Schmerzensgeldansprüche bei einem Verkehrsunfall mit einem Motorradfahrer definiert, der ohne adäquate Schutzkleidung unterwegs war. Ohne eine gesetzliche Vorschrift oder ein deutliches gesellschaftliches Verkehrsbewusstsein für das Tragen von Motorradschutzkleidung kann der Vorwurf eines Mitverschuldens in der Regel nicht erhoben werden.
Mitverschulden und Schmerzensgeld: Einzelfallbetrachtung ist entscheidend
Besonders interessant ist die Argumentation des Gerichts hinsichtlich der Frage, ob die Verletzung, die zur Bemessung des Schmerzensgeldes herangezogen wurde, durch das Tragen von Schutzkleidung hätte vermieden werden können. Im konkreten Fall erlitt der Kläger eine Avulsionsfraktur, eine Verletzung, die in der Regel durch starke Krafteinwirkungen verursacht wird. Das Gericht stellte infrage, ob eine Motorradschutzkleidung eine solche Verletzung hätte verhindern oder wenigstens abmildern können. Die Entscheidung ließ diese Frage jedoch offen, da das Vorliegen eines Mitverschuldens nicht primär von der Vermeidbarkeit der konkreten Verletzung durch Schutzkleidung abhängt.
Keine pauschale Schmerzensgeldkürzung bei fehlender Schutzkleidung
Das LG Hamburg macht mit diesem Urteil deutlich, dass bei der Bemessung des Schmerzensgeldes aufgrund eines Verkehrsunfalls nicht automatisch eine Kürzung wegen fehlender Schutzkleidung vorgenommen werden kann. Eine gesetzliche Regelung, die das Tragen von Motorradschutzkleidung verpflichtend macht, existiert nicht, und ein allgemeines Bewusstsein im Verkehr, das Motorradfahrern das Tragen solcher Kleidung auferlegt, war zum Zeitpunkt des Unfalls ebenfalls nicht feststellbar.
Diese Entscheidung stärkt die Position von Motorradfahrern, die nach einem Verkehrsunfall Verletzungen erleiden, ohne dabei umfassend mit Schutzkleidung ausgestattet gewesen zu sein. Für die Bemessung des Schmerzensgeldes kommt es vielmehr auf die konkreten Umstände des Unfalls an, insbesondere auf die Art und Weise, wie die Verletzungen verursacht wurden und ob diese durch Schutzkleidung überhaupt hätten vermieden werden können.
Fazit
Bei einem Verkehrsunfall mit einem Motorradfahrer, der ohne adäquate Schutzkleidung fährt, ist eine Kürzung des Schmerzensgeldes aufgrund eines Mitverschuldens nicht automatisch gegeben. Entscheidend ist, ob eine gesetzliche Regelung oder ein allgemeines Verkehrsbewusstsein zum Tragen von Schutzkleidung bestand und ob die konkrete Verletzung durch Schutzkleidung hätte vermieden werden können. Das Urteil des LG Hamburg zeigt, dass Motorradfahrer auch ohne spezielle Schutzkleidung Anspruch auf volles Schmerzensgeld haben können, wenn kein Mitverschulden nachgewiesen wird.
Für Verkehrsunfälle mit Motorrädern ist dieses Urteil richtungsweisend und unterstreicht die Bedeutung einer differenzierten rechtlichen Bewertung der Umstände. Verkehrsunfälle sind stets Einzelfälle, bei denen die konkrete Situation des Fahrers, der Unfallhergang und die Verletzungen im Detail geprüft werden müssen.
Ihr Ansprechpartner: Rechtsanwalt Thomas Brunow – Rechtsanwalt für Verkehrsrecht in Berlin Mitte – Kanzlei Prof. Dr. Streich & Partner in Berlin und Brandenburg – Er ist spezialisiert im Verkehrsrecht und vertritt seine Mandanten ausschließlich in verkehrsrechtlichen Angelegenheiten. Rechtsanwalt Thomas Brunow ist Vertrauensanwalt des Volkswagen – Audi Händlerverbandes im Verkehrsrecht und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht. Seine Schwerpunkte sind:
- Schadenregulierung nach einem Verkehrsunfall
- Verteidigung bei Verkehrsstrafsachen (Trunkenheitsfahrt, Fahrerfluch, Nötigung, Körperverletzungen etc.)
- Verteidigung in Bußgeldverfahren (Geschwindigkeitsverstoß, Rotlichtverstoß, Fahrtenbuchauflage etc.)
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