Haftungsverteilung

Haftungsverteilung

Jährlich werden in Berlin weit über 100.000 Verkehrsunfälle von der Berliner Polizei aufgenommen. Angesichts der im Zuge eines Verkehrsunfalls entstehenden Schäden und Folgekosten durch Abschleppunternehmen, Reparaturen oder Sachverständigengutachten steht die Frage im Fokus, wer von den Unfallbeteiligten die Kosten zu tragen hat.

Um die Schadenskosten angemessen zwischen den Parteien zu regulieren, unterscheidet man zwischen Verschuldens- und Gefährdungshaftung.

Für eine Verschuldenshaftung bildet § 823 BGB die Anspruchsgrundlage für Geschädigte. Für ein Verschulden muss der Unfallverursacher vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt haben. Der wohl häufigste Fall ist der fahrlässig verursachte Verkehrsunfall, d.h. wenn der Unfallverursacher gemäß § 276 BGB die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht ließ.

Die Gefährdungshaftung kommt zur Anwendung, wenn keiner der Unfallbeteiligten den Unfall zu verschulden hat. Damit die Schäden dennoch kompensiert werden können, erfolgt die Haftung nach den Voraussetzungen des § 7 I StVG unter dem Aspekt, dass das unfallverursachende Fahrzeug die Gefahr auf einen Unfall erhöht hat.

Hat ein Unfallbeteiligter den Unfall mitverschuldet, muss eine seinem Verschulden entsprechende Haftungsquote gebildet werden. Die Haftungsquote ist einzelfallbezogen, d.h. sie muss für jeden Verkehrsunfall neu berechnet werden. Das liegt daran, dass jeder Unfall spezifische Umstände aufweist( z.B. Witterungsverhältnisse, Sichtverhältnisse, Fahrzeugart).

In falsche Richtung fahrender Radfahrer

Die Kollision eines in falscher Richtung fahrenden Radfahrers mit einem Fahrzeug, welches beabsichtigt, in eine Vorfahrtstraße abzubiegen, stellt sich als besonders gefährliche Unfallkonstellation dar. Die Haftungslage ist dagegen nicht immer eindeutig. Zwar ist der Radfahrer generell vorfahrtsberechtigt. Dennoch muss der Umstand in Rechnung gebracht werden, dass der Radfahrer auf der für ihn nicht vorgesehenen Seite der Straße auf dem Radweg fährt. So hat das OLG Hamm in einer Entscheidung von 1997 entschieden, dass der Fahrer des KfZ zu einer Quote von 2/3 haftet, der Radfahrer zu 1/3. Begründet wurde dies damit, dass der Radfahrer nicht darauf vertrauen dürfe, dass der wartepflichtige Autofahrer ihn bemerken und anhalten würde, wenn er zuvor mit diesem gar keinen Blickkontakt aufgenommen hat. Befährt hingegen der Radfahrer lediglich den Gehweg und dazu auf der falschen Seite und kommt es dann zu einer Kollision mit dem PKW, haftet der Radfahrer nach einem Urteil des LG Stralsund sogar zu 100 %. Zwar muss ein Kraftfahrer grundsätzlich damit rechnen, dass Radfahrer auch den Gehweg befahren. Befährt er diesen aber in falscher Richtung, obwohl sogar beispielsweise ein Fahrradweg vorhanden ist, stellt dies ein grob verkehrswidriges Verhalten dar.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass auch Radfahrer sich selbstverständlich an die Regeln der StVO zu halten haben. Daher kann sie in jeden Fall ein Mitverschulden treffen, auch wenn die Autofahrer bei vorhandenen Radwegen sich besonders sorgsam an die Kreuzung herantasten müssen.

Auffahrunfall

Der Beweis des ersten Anscheins spricht zunächst dafür, dass in Konstellationen, in denen ein Fahrzeug auf ein anderes, wartepflichtiges Fahrzeug auffährt, der Auffahrende zu 100 % haftet. Denn es muss generell damit gerechnet werden, dass der wartepflichtige Kraftfahrer sich zunächst über den vorfahrtsberechtigten Verkehr vergewissern möchte und dazu geschwindigkeitsmindernd an eine Kreuzung heranfährt. Das gilt auch für ein Auffahren auf offener Strecke.

Der Fall liegt allerdings anders, wenn der Vorausfahrende ohne verkehrsbedingten Grund oder wegen eines eigenen Fahrfehlers überstark abbremst bzw. eine Vollbremsung durchführt. Nach einem Urteil des LG München aus dem Jahr 2005 haftet der Vorausfahrende zu 100 %, da in dieser Konstellation die Betriebsgefahr des auffahrenden Fahrzeugs hinter der des Vorausfahrenden zurücktritt.

Grundsätzlich muss der nachfolgende Kraftfahrer aber eine besondere Sorgfalt tragen und sich darauf einstellen, dass der vorausfahrende PKW aufgrund der Verkehrsdichte oder einer etwaigen Wartepflicht die eigene Geschwindigkeit herabsetzt.

Unfall mit Radfahrer

Zum Thema Verkehrsunfälle zwischen Kraftfahrzeugen und Fahrrädern hat das Landgericht Itzehoe eine weitere Entscheidung mit Urteil vom 30. April 2010 getroffen und damit die Rechtsprechung in diesem Bereich konsequent fortgeführt.

Im vorliegenden Fall folgte ein Kraftfahrer mit seinem Fahrzeug nebst Wohnanhänger einem Radfahrer. Der Kraftfahrer setzte zum Überholen an und überfuhr dabei die vorhandene durchgezogene Mittellinie. Im Anschluss an das Überholmanöver kam der Radfahrer zu Fall und verletzte sich schwer. Das Gericht entschied, dass der Kraftfahrer die Alleinschuld an diesem Unfall trifft.

Der Beklagte (Kraftfahrer) hat den geschädigten Radfahrer unter Überfahren der durchgezogenen Mittellinie überholt, obwohl sich der Radfahrer darauf verlassen durfte, dass ein nachfolgender Kraftfahrer ihn nicht überholt, weil dies bei dem gebotenen seitlichen Abstand nur durch Inanspruchnahme des abgegrenzten Fahrsteifens möglich ist. Zwar schützt die durchgezogene Mittellinie als Fahrstreifenbegrenzung in erster Linie den Gegenverkehr. Sie bezweckt aber auch, dass nur rechts von der Linie gefahren wird. Es schützt eine solche Markierung auch das Vertrauen des Vorausfahrenden, nicht mit einem Überholtwerden rechnen zu müssen.

Mit diesem Urteil wird die bisherige Rechtsprechung konsequent fortgeführt. Die durchgezogene Mittellinie verbietet zwar nicht das Überholen. Ein Radfahrer darf aber darauf vertrauen, dass ein nachfolgender Kraftfahrer ihn nicht überholt, wenn dies bei dem gebotenen seitlichen Abstand nur unter Inanspruchnahme des abgegrenzten Fahrsteifens möglich ist (so bereits BGH, VI ZR 66/86).

Ein Kraftfahrer hat grundsätzlich mindestens 1,5 Meter Seitenabstand zu halten. Bei Steigungen ist der einzuhaltende Abstand mit mindestens 2 Metern wesentlich größer. Der zuvor beschriebene Seitenabstand ist gesetzlich nicht genau geregelt. Die Straßenverkehrsordnung spricht vielmehr von einem ausreichenden Seitenabstand. Auch der Radfahrer sollte einen ausreichenden Sicherheitsabstand vom rechten Fahrbahnrand und insbesondere von parkenden Kraftfahrzeugen einhalten. Nach Ansicht des Berliner Landgerichts (schon älter: 24 O 466/95) muss der Abstand so zu bemessen sein, dass den Radfahrer eine sich öffnende Autotür nicht in eine Gefahrensituation bringen kann. In der Praxis dürfte dies selten der Fall sein.

Trotz der eindeutigen Anforderungen an Kraftfahrern und Radfahrern gibt es keine allgemeinverbindliche Aussage über die Haftung. Diese muss im konkreten Einzelfall anhand der verschiedenen Umstände geprüft werden, um eine Haftungsverteilung beurteilen zu können.

Überholen

Kollisionen zwischen einem überholenden und einem vorausfahrenden nach links abbiegenden Fahrzeug gehören zu den mit am häufigsten vorkommenden Unfallkonstellationen. Die Haftung hierbei ist stets nach dem konkreten Einzelfall zu entscheiden und führt in der Rechtsprechung zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Der gegen den Linksabbieger sprechende Anscheinsbeweis steht den hohen Anforderungen an das gefahrlose Überholen gegenüber. Der Anscheinsbeweis für eine 100 % ige Haftung spricht in der Regel gegen den Linksabbieger. So entschied das Kammergericht mit Urteil vom 13. August 2009 gegen den Linksabbieger. Kommt es nämlich im unmittelbaren und zeitlichen Zusammenhang mit dem Linksabbiegen zu einer Kollision mit einem links überholenden Fahrzeug, spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine Sorgfaltspflichtverletzung des Linksabbiegers. Eine Beweislastumkehr greift zu Lasten einer Partei nicht ein. Eine Mithaftung des Überholenden ist jedoch nicht ausgeschlossen und kommt bei Vorliegen entsprechender Umstände durchaus in Betracht. Der Idealtypische “Abbieger”, setzt seinen Fahrtrichtungsanzeiger rechtzeitig, verlangsamt sein Fahrzeug deutlich, ordnet sich zur Fahrbahnmitte ein und beachtet die zweite Rückschau. Sofern der Abbieger einzelne vorgenannte Pflichten verletzt, erhöht sich sein Mitverschulden bis hin zur Alleinhaftung.

Eine Mithaftung des Überholenden kommt indes dann in Betracht, sofern er bei einer für ihn unklaren Verkehrslage zum Überholen ansetzt.

Das Kammergericht hält hierbei eine unklare Verkehrslage nur dann für gegeben, wenn an einem vorausfahrenden oder stehenden Fahrzeug der linke Fahrtrichtungsanzeiger betätigt wird, dies der nachfolgende Verkehr erkennen konnte und dem nachfolgenden überholenden Fahrzeugführer noch ein angemessenes Reagieren – ohne Gefahrenbremsung – möglich war. Dagegen liegt eine unklare Verkehrslage nicht schon dann vor, wenn das vorausfahrende Fahrzeug verlangsamt, selbst wenn es sich bereits etwas zur Fahrbahnmitte eingeordnet haben sollte.

Unfall infolge des Benutzens eines Mobiltelefons

Die Benutzung eines Mobiltelefons ohne Freisprecheinrichtung als Kraftfahrer eines KfZ bei laufendem Motor wird nach dem Bußgeldkatalog mit 40 € Bußgeld und 1 Punkt im Verkehrszentralregister in Flensburg geahndet. Entstehen in Folge des Benutzens eines Mobiltelefons Unfälle, kann sich das auch auf die Haftungsverteilung mit den anderen Unfallbeteiligten auswirken. So entschied das OLG Köln im Jahr 2002, dass ein Vorfahrtsberechtigter bei einem Unfall aufgrund eines Vorfahrtsverstoßes dennoch zu 20 % anteilig haftet, wenn er zum unfallrelevanten Zeitpunkt mit seinem Mobiltelefon zumindest versucht hat zu telefonieren. Für die Beantwortung der Verschuldensfrage geht es häufig darum, ob der Fahrzeugführer grob fahrlässig gehandelt hat. Grobe Fahrlässigkeit liegt in solchen Fällen vor, wenn der Unfall darauf zurückzuführen ist, dass die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerer Weise verletzt wurde, d.h. ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt und das nicht beachtet wurde, was im konkreten Fall hätte einleuchten müssen (AG Düsseldorf, Urt.v. 30.11.00, Az 49 C 12117/99) Für den Fall, dass sich für einen Unfall keine weiteren Ursachen ermitteln lassen, hat das AG Kiel (NZV 2005, 477) die Vermutung angestellt, dass der Fahrer aufgrund der Nutzung seines Mobiltelefons abgelenkt und nur eingeschränkt reaktionsfähig war. Dieser Ansatz wird damit begründet, dass zum einen die Unfallumstände dafür sprechen, dass der Fahrer mit dem Handy das andere Fahrzeug zu spät erkannt hat, obwohl sich dieses bewiesenermaßen an die Kreuzung herangetastet hatte. Zum anderen spricht für die eingeschränkte Reaktionsfähigkeit, dass der Fahrer durch das Telefonat dermaßen abgelenkt war, dass er die Möglichkeit des Umlenkens zur Vermeidung eines Zusammenstoßes zu spät erkannt hat. Mit dieser Argumentation wird eine überwiegende Haftung des Fahrers mit dem Handy begründet.

Kollision eines Überholers mit anderem Überholer

Das OLG Brandenburg entschied am 23.06.2011 (Aktenzeichen: 12 U 270/08) einen Verkehrsunfall, in dem ein Motorrad zwei Fahrzeuge auf einer Bundesstraße zu überholen versuchte, währenddessen das vorausfahrende Kraftfahrzeug ebenfalls zum Überholen ausscherte. Die Besonderheit des Falls lag zunächst darin, dass es zu keiner Berührung zwischen dem Motorrad und dem Fahrzeug gekommen war.Aufgrund eines Ausweichmanövers kollidierte der Motorradfahrer mit einem Straßenbaum. Beide Unfallparteien waren im gerichtlichen Verfahren der Ansicht, dass der jeweilige Unfallgegner den Unfall alleine zu verschulden habe.

Das OLG Brandenburg legte zunächst in seinem Urteil fest, dass in diesem Fall ein „Unfall“ im Sinne des StVG vorlag, auch wenn es zu keiner unmittelbaren Berührung zwischen den Fahrzeugen gekommen war.

Das Gericht führte weiter aus, dass sich zum einen der Unfallhergang trotz eines Sachverständigengutachtens nicht mehr genau rekonstruieren ließ. Zum anderen ging das Gericht davon aus, dass beide Parteien gegen § 5 Abs. 3 StVO verstoßen haben, da sie bei unklarer Verkehrslage überholten.

Unklar i.S.v. § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO ist eine Verkehrslage, wenn nach allen Umständen mit gefahrlosem Überholen nicht gerechnet werden kann (König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41 Aufl., § 5 StVO, Rn. 34). Beim Überholen ist vor allem der rückwärtige Verkehr zu beachten. Wer zuerst in einer Kolonne überholen darf, entscheidet sich bei Zweifeln danach, wer den Überholvorgang –z.B. durch Setzen des Fahrtrichtungsanzeigers- auch rechtzeitig angezeigt hat. Das Gericht ging hier davon aus, dass der Fahrer des voraus fahrenden Fahrzeugs seine Pflicht, sich vor Einleiten des Überholvorgangs am rückwärtigen Verkehr zu orientieren, verletzt hat. Auch der Motorradfahrer verletzte seine Pflichten zum ordnungsgemäßen Überholen, da er – wie im Sachverständigengutachten festgestellt- zumindest mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit gefahren ist.

Eine weitere Geschehens- oder Ursachenabfolge zum Unfall konnte das Gericht nicht feststellen, weswegen es für beide Parteien im Ergebnis zu einer Haftungsverteilung von je 1/2 führte.

Linksabbieger und Rotlichtverstoß

Das OLG Köln (Urteil vom 05.04.2011, 22 U 67/09) hatte in einem Fall zu entscheiden, bei dem es zu einer Kollision zwischen einem Linksabbieger und einem Rotlichtfahrer gekommen war. Der Kläger war bei Grün in den Kreuzungsbereich eingefahren, um nach links abzubiegen. In diesem Moment kollidierte er mit dem Fahrzeug des Beklagten, der nach Zeugenaussagen und der Auffassung des Gerichts in die Kreuzung einfuhr, als dessen Ampel bereits auf „Rot“ umgesprungen war.

Der Kläger war der Ansicht, dass der Beklagte für die Kosten vollumfänglich haften müsse. Das Gericht war allerdings der Ansicht, dass beiden Parteien hier vorliegend eine gleichwiegende Unfallbeteiligung zu tragen hätten und legte eine Haftungsverteilung von je 50 % fest.

Das OLG Köln begründete seine Entscheidung damit, dass beide Parteien einen schwerwiegenden Verkehrsverstoß begangen hätten. Zum einen habe der Kläger seine Wartepflicht aus § 9 Abs. 3 StVO verletzt, wonach ein Abbiegender entgegenkommende Fahrzeuge durchzulassen hat. Zudem gilt bei Abbiegevorgängen, dass sich der Abbiegende vergewissert, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Der Kläger durfte nach Ansicht des Gerichts nicht darauf vertrauen, dass die Ampel für den Beklagten bereits Rot zeigte. Zumal kein Grünpfeil nach § 37 StVO sich an der Kreuzung befand, der dem Kläger ein Abbiegen gestattet hätte.

Zu gleichen Teilen als unfallverursachend sah das OLG Köln aber auch das Verhalten des Beklagten an. Dieser habe mit seinem Überfahren bei Rotlicht einen Verkehrsverstoß gegen § 37 Abs. 2 StVO begangen, wonach unzweifelhaft bei Rot vor Kreuzungen zu warten ist.

Als Erkenntnis aus diesem Fall ist zu sehen, dass ein berechtigter Linksabbieger auch gegenüber verbotswidrig in einen Kreuzungsbereich einfahrenden Autofahrern wartepflichtig ist, da er im Falle einer Kollision ansonsten eine Haftungsbeteiligung riskiert.

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